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Zu faul für Ordnung?

  • 24. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit
Zwei Grundsätze für Ordnung - Deine klare Linie

Es ist ein Satz, den du vielleicht schon gehört hast oder den du zu dir selber sagst: „Du bist einfach zu faul für Ordnung.“

Und wenn das oft genug ausgesprochen oder gedacht wurde, glaubst du das auch. Und jetzt bist du hier weil du weißt, dass Ordnung dir echt was bringen würde. Du stellst dir vor, wie schön deine Wohnung und dein Leben sein könnten, wenn alles seinen Platz hätte. Aber das wird wohl (wieder) nichts, denn du bist schließlich einfach zu faul für Ordnung.


Hinter dieser vermeintlich einfachen Erklärung steckt aber natürlich viel mehr. Und soviel schon vorneweg: Natürlich bist du nicht „einfach“ zu faul. Und wenn du es wärst, wäre das auch nicht so schlimm, denn man kann faul und ordentlich sein.


Warum Aufräumen nicht für alle gleich schwer ist

Ordnung halten bzw. aufräumen wirkt auf den ersten Blick wie eine einfache Aufgabe: Man nimmt etwas, das nicht an seinem Platz ist, und räumt es zurück. Doch wer einmal genauer hinschaut, merkt schnell: Ordnung halten setzt viele Dinge voraus. Es braucht Struktur, Entscheidungsfreude, Ausdauer, emotionale Stabilität und einen gewissen inneren Antrieb. All das kann je nach Lebenssituation, psychischer Verfassung und persönlichem Hintergrund stark variieren.


Neurodivergenz und Ordnung

Ein Beispiel: Menschen mit ADHS berichten häufig davon, dass sie Ordnung halten möchten, es aber einfach nicht schaffen. Nicht, weil sie faul sind, sondern weil ihnen bestimmte exekutive Funktionen schwerfallen. Dazu gehören z. B. Dinge wie planen, priorisieren, motivieren und dran bleiben, auch wenn es schwierig oder langweilig wird. Einfaches aufräumen wird dann zu einer überfordernden Mammutaufgabe, die das Gehirn schlichtweg blockiert.


Die Macht der inneren Haltungen und Erfahrungen

Aber nicht nur neurologische oder psychische Themen spielen eine Rolle. Auch deine Erziehung und die Erfahrungen aus deiner Kindheit beeinflussen dein Verhalten. Wenn du in einem Haushalt aufgewachsen bist, in dem Chaos herrschte, hast du möglicherweise einfach nie gelernt, wie man Ordnung schafft und aufrechterhält. Dir fehlt dann einerseits das Wissen über die Schritte, die notwendig sind und andererseits hast du nicht erlebt, dass Ordnung halten zum normalen Alltag gehört. Vielleicht ist aber auch das Gegenteil wahr: Wenn Ordnung in deiner Kindheit alles beherrscht hat oder als Druckmittel oder Kontrollinstrument verwendet wurde, lehnst du vielleicht heute alles, was damit zu tun hat, unbewusst ab.

Dazu kommt, dass Ordnung auch emotional ist. Dinge loszulassen kann schmerzen. Erinnerungen, Schuldgefühle, Verlustängste – all das kann dich davon abhalten, Dinge wegzuräumen oder auszusortieren. Und je mehr sich ansammelt, desto höher wird der Berg und du hast das Gefühl, es sowieso nicht zu schaffen. Dann nicht anzufangen ist keine Faulheit, sondern Überforderung.


Der Mythos der Faulheit

Du merkst: Das Etikett „faul“ ist schnell vergeben, aber selten hilfreich. Es nimmt dir die Möglichkeit, dich selbst mit Mitgefühl zu begegnen und die wahren Ursachen für dein Verhalten zu erkennen. Faulheit das Ergebnis von ganz anderen Gründen, wie Überforderung, Erschöpfung, Orientierungslosigkeit, emotionalen Blockaden oder ungelösten innere Konflikte.

Außerdem: Wer du dich selbst als faul bezeichnest, stellt du dich damit in eine passive Opferrolle. Denn wenn du glaubst, du „bist eben so“, steht es nicht in deiner Macht etwas zu ändern. Das hilft dir natürlich nicht, ist aber eine Strategie, die unser Hirn gerne nutzt, wenn Veränderung sich zu groß oder furchteinflößend anfühlt. In schlechten Situationen zu bleiben fühlt sich dann sicherer an, denn es ist immerhin das, was du kennst. Aber natürlich kannst du doch etwas tun, nur eben nicht, indem du dir selber Vorwürfe machst, warum du es bisher nicht geschafft hast, sondern indem du nach Ursachen suchst und dort ansetzt. Auch das ist nicht immer einfach, im Gegenteil, es verspricht aber Erfolg. Und außerdem: So wie bisher soll es doch nicht weitergehen, oder?

Es lohnt sich also zu fragen, was wirklich hinter der Faulheit steckt, bevor du nach der perfekten Aufräum-Methode suchst.


Ordnung beginnt im Kopf

Wenn du weißt, woran es bei dir liegen könnte, folgt der nächste Schritt: Etwas ändern. Da bin ich immer der Meinung, dass man es sich so leicht wie möglich machen darf. Also nicht sofort nach Perfektion streben, sondern klein anfangen. Aber anfangen musst du, das kann dir leider niemand abnehmen.

Falls das einfach nicht gehen will, dann kannst du auch überlegen, wie es dir eigentlich gerade, in diesem Moment, geht und was dich abhält, das zu tun, was du doch eigentlich tun willst.

Bist du überfordert? Brauchst du Hilfe? Bist du müde oder abgelenkt? Oder fehlen dir passende Strukturen für deinen Alltag und deine Persönlichkeit?

Gerade bei neurodiversen Menschen (z. B. mit ADHS, Autismus-Spektrum-Störungen oder Depressionen) braucht es oft individuelle Lösungen. Was bei anderen funktioniert, kann bei dir ins Leere laufen.


Selbstmitgefühl statt Selbstkritik

Egal wie: Ein zentraler Schritt ist, die innere Haltung zu ändern. Dich immer wieder selbst zu kritisieren erhöht selten die Motivation. Viel wirksamer ist es, dir selber mit Verständnis und Mitgefühl zu begegnen. Du bist nicht faul. Du hast vielleicht einfach andere Herausforderungen als andere. Und das ist okay.

Außerdem gibt es – tief in dir drinnen – gute Gründe, warum es so gekommen ist. Wenn du die erkennst, ist das der erste Schritt, sich zu fragen, ob diese Gründe dir noch helfen oder ob du sie durch etwas ersetzen darfst, was heute besser zu dir passt.


Zu faul für Ordnung?

Was ist nun aber mit faul und ordentlich?

Ordnung soll dir dienen und das tut sie, indem du sie dir so einfach wie möglich machst. Und damit geht es direkt zu den beiden wichtigsten Sätze für für mehr Ordnung: Weniger Zeug macht weniger Arbeit. Und: Feste Plätze machen das Aufräumen leicht. Um diese beiden Grundsätze dreht sich hier bei mir im Prinzip von alles.

Wenn du die beachtest (was zunächst mal Arbeit ist), kannst du faul und ordentlich sein, denn dann macht Ordnung wenig Arbeit.

Natürlich darfst auch einfach so mal faul sein, auch wenn sich in der Spüle das Geschirr stapelt. Denn es geht natürlich nicht um immerwährenden Aktionismus, in dem du jede wache Minute produktiv verbringen musst. Pausen machen und faul sein sind auch wichtige Aktivitäten, die dich zufrieden und gesund halten. Und dazu fällt mir immer eins meiner liebsten Zitate ein, es ist von Astrid Lindgren: „Und dann muss man auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.“ Klingt besser als „zu faul für Ordnung“, oder?

Aber wenn sich die Unordnung trotzdem immer wieder einschleicht, lohnt es sich, einen Schritt zurückzugehen und die Sache grundsätzlicher zu betrachten.


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