Schleichendes Chaos: Warum aus wenig Chaos so schnell ganz viel Chaos wird
- Anna-Lena von Wolff
- 19. Mai
- 4 Min. Lesezeit

Es beginnt meistens ganz harmlos.
Ein Stapel Papier auf dem Küchentisch, weil du die Briefe noch durchsehen willst.
Eine Jacke über dem Stuhl, weil du sie ja morgen wieder anziehst.
Ein paar Dinge im Flur, die noch „nach oben“ sollen.
Du weißt, dass es nicht ideal ist, aber du denkst dir: Ach, das mache ich später.
Und dann vergeht ein Tag. Dann zwei.
Der Papierstapel bekommt Gesellschaft von ein paar Zeitschriften und einem Ladekabel.
Die Jacke bleibt, weil du am nächsten Tag doch eine andere trägst.
Die Sachen im Flur bekommen Gesellschaft von noch mehr Dingen, die aufgeräumt werden müssen.
Und von „dem Stuhl“ im Schlafzimmer haben wir noch nicht mal gesprochen. Aber plötzlich ist er da: der Moment, in dem du dich fragst, wann eigentlich das Chaos eingezogen ist.
Der Broken-Windows-Effekt in deinem Zuhause
Dieses Phänomen hat einen Namen. In der Psychologie spricht man vom „Broken-Windows-Effekt“. Ursprünglich stammt er aus der Stadtsoziologie und beschreibt, dass der sichtbare Verfall eines Umfelds dazu führt, dass sich der Zustand weiter verschlechtert. Ein „broken window“ – ein kaputtes Fenster – in einem Haus bleibt nicht lange allein. Es signalisiert: Hier kümmert sich keiner. Hier gibt es niemanden, dem der Zustand des Hauses wichtig ist. Und das ist die Einladung für noch mehr Nachlässigkeit und irgendwann für Vandalismus und Verfall.
In deinem Zuhause ist es nicht ganz so dramatisch, es funktioniert aber genau so. Ein bisschen Unordnung ist nicht harmlos. Sie setzt ein Zeichen: Ordnung ist gerade nicht wichtig. Und sobald dieses Zeichen gesetzt ist, wird es immer leichter, weitere Dinge liegen zu lassen. Wir nehmen die Unordnung nicht mehr als Störung wahr, sondern als neuen Normalzustand. Und das kann schnell dazu führen, dass wir den Überblick verlieren.
Ganz wichtig: Das ist kein Vorwurf an dich. Ich glaube nicht, dass du dein Zuhause mit Absicht vernachlässigst oder es dir egal ist. Wenn Ordnung im Moment nicht so wichtig ist, dann liegt das an anderen Themen in deinem Leben, die gerade Priorität haben. Aber trotzdem möchtest du eine schöne Umgebung. Genau wie Menschen nicht in vernachlässigten und verfallenden Gegenden leben wollen, ihre Lebensumstände es ihnen aber oft nicht erlauben, es zu verändern (weswegen der ursprüngliche Ansatz, den zerbrochenen Fenstern mit mehr Polizeipräsenz und „Null Toleranz“ zu begegnen, gescheitert ist – was die Menschen brauchen, ist Unterstützung).
Kleine Zeichen, große Wirkung
Deswegen sage ich dir nicht, dass du ein ordentliches Zuhause nur halten kannst, wenn du immer alles sofort aufräumst. Ich will aber, dass du wahrnimmst, dass kleine Dinge oft eine große Wirkung haben.
Eine aufgeräumte Arbeitsplatte lädt dazu ein, sie ordentlich zu halten.
Wenn alle Kleidung im Schrank ist, macht das es wahrscheinlicher, dass du nichts auf den Boden wirfst.
Und umgekehrt: Ein Raum, in dem das Chaos sich schon ausbreitet, fühlt sich schnell unübersichtlich und unkontrollierbar an. Dann kommt das Gefühl, dass es jetzt auch egal ist. Und dieses Gefühl ist der Anfang vom echten Durcheinander. Denn plötzlich ist nicht mehr klar, was gemacht werden muss. Du springst von einer Ecke zur anderen, fängst vieles an und bringst wenig zu Ende. Statt dir ein gutes Gefühl zu geben, wird Ordnung zur Überforderung.
Ordnung halten ohne ständig aufzuräumen
Deshalb ist die Broken-Window-Theorie nicht nur ein Ansatz für große gesellschaftliche Zusammenhänge, sondern auch ein Motto für den Alltag. Es heißt: Sei achtsam mit den ersten Zeichen. Nimm das Chaos ernst, auch wenn es noch klein ist. Nicht aus Strenge oder Pedanterie. Sondern weil es so viel einfacher ist, einen kleinen Stapel Papiere zu sortieren als kniehohe Haufen.
Das heißt nicht, dass du ununterbrochen aufräumen musst oder dein Zuhause wie ein Katalog aussehen soll. Es geht darum, dir selbst das Leben leichter zu machen. Und das bekommst du auf zwei Arten hin:
Zwei Wege, schleichendes Chaos zu stoppen
Erstens: Räum Dinge weg, anstatt sie nur irgendwohin zu legen. Häng die Jacke an die Garderobe, anstatt sie auf den Stuhl zu werfen. Stell die Tasse in die Spülmaschine statt daneben. Leg die Packung Tee zurück in den Schrank, anstatt sie auf der Arbeitsplatte stehen zu lassen. Wirf Werbung direkt ins Altpapier, anstatt sie mit den wichtigen Briefen zu vermischen. Der Aufwand ist oft der gleiche, aber das Ergebnis ist ein anderes.
Zweitens: Nimm dir regelmäßig Zeit für die Orte, die besonders anfällig sind. Du weißt selbst am besten, welche Ecken bei dir schnell kippen. Vielleicht ist es der Esstisch, der zu einer Zwischenablage wird. Oder die Kommode im Flur. Oder der legendäre Stuhl. Wenn du einmal am Tag oder ein-, zweimal pro Woche kurz drüber gehst, bleibt das Chaos klein. Und du hast das gute Gefühl, die Dinge im Griff zu haben.
Kein Druck, aber ein klarer Blick
Ich finde, das klingt machbar. Es geht nicht um Disziplin, sondern um Entlastung. Um den kleinen Unterschied zwischen „Ich müsste mal wieder“ und „Ich hab das im Blick“.
Ordnung ist kein Endzustand. Sie ist ein Prozess, den du immer wieder neu gestalten darfst. Und je früher du ansetzt, desto einfacher bleibt er.
Denn ein bisschen Ordnung ist nicht perfekt. Aber sie ist ein Anfang. Und genau den gilt es zu schützen.
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Dann ist das Ausmist-ABC genau das Richtige für dich.
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